Innovation, Prozess-Knowhow und wie man den zwei drängendsten Content-Problemen beikommt.
#2 content knowhow dmexco 2021
In der täglichen Arbeit eines jeden Content Teams gibt es Herausforderungen, über die es sich lohnt, mit Peers zu sprechen. Die Frage „Wie macht ihr das eigentlich?“ ist oft der Schlüssel zum Goldschatz (oder zum Schleusentor 😉).
Umso spannender, wenn dies auf der Bühne passiert und sich für viele die Möglichkeit bietet, einem Content Team über die Schulter schauen zu dürfen. Auf drei Beispiele und was man daraus lernen kann, möchte ich euch im Folgenden hinweisen.
Branchenmeeting dmexco2021 - Gibt es neue Lösungen für “Content”-Probleme?
Die dmexco hatte ”Content” dieses Jahr zu einem inhaltlichen Schwerpunkt ausgerufen. Entsprechend gespannt war ich auf die Beiträge und den Output für „echte“ Content Marketer (also die unter uns, die Content tatsächlich strategisch planen und umsetzen) und ihre bekannten Probleme.
Problem 1: Content Marketing ist außerhalb des Teams noch lange nicht akzeptiert
Content ist quer durch die Branchen und in allen Chefetagen gesetzt? Mitnichten.
Als Buzzword ist „Content“ zwar überall im Gespräch und wird mit wichtigem Nicken quittiert und als Weg in die Zukunft gepriesen. Die Realität der Content-Arbeit sieht aber oft anders aus.
In den allermeisten Unternehmen ist der Weg vom „salesy“ Marketing zum wertigen Content noch lange nicht abgeschlossen. Misstrauisch wird bei diesem Kommunikationsansatz besonders der große Anteil strategischer Arbeit beäugt, der Content People schon per definitionem in alle Kreise zu Unternehmenswerten, -zielen und -kultur einlädt. (Ein Wandel des Macht- und Einflussgefüges, der zusätzlich nicht jeder/m schmeckt.)
Außerdem ist der Rest der Organisation oft noch nicht auf die Taktung von Content-Arbeit ausgerichtet. Dass Content langfristig wirkt, wird immer dann plötzlich nicht mehr als Vorteil sondern als Nachteil ausgelegt, wenn hektisch nach Leadquellen gesucht wird. Dann ist im Kampf um Budgets Content schnell nur noch „nice to have“.
Von der Herausforderung, ein neues Mindset in die gesamte Organisation zu tragen, können vor allem Marketer aus schon länger im E-Commerce etablierten Unternehmen ein Lied singen. Die Erinnerung an Zeiten, als Traffic und Kunden „von selbst“ kamen, sind noch allzu wach.
Problem 2: Die Content Arbeit hat auch im Team noch viele Stolperstellen
Dieser Herausforderungen, die von außen an Kommunikationsteams herangetragen werden, wären leichter zu bewältigen, wenn es im Team ganz glatt liefe. Doch auch innerhalb des Teams gibt es viele Stolperstellen, wenn man sich im Content-Bereich neu oder besser aufstellt.
Durch mehr vernetztes Arbeiten, anspruchsvolle Inhalte und intensive Redaktionsarbeit kann man weniger nebeneinanderher arbeiten, sondern muss sich viel häufiger in interdisziplinären Runden abstimmen. Das bedeutet, dass die Arbeitsabläufe und Organisation der Redaktions- und Designteams neu gedacht werden. Und dies zieht Systemintegration und geänderte Mess- und Feedbackmechanismen nach sich.
Die ungeschminkte Wahrheit lautet daher wenig überraschend:
Da hier wirklich kaum ein Stein auf dem anderen bleibt, ist mit Wachstumsschmerzen zu rechnen.
Aber es gibt auch eine gute Nachricht:
Sind all diese offenen Fragen einmal im Team beantwortet, gibt es auch genug „Stoff“, um das als Problem 1 beschriebene, team-externe Misstrauen zu beheben und erfolgreich Aufklärungsarbeit zu leisten.
Da „Content“ auch nun für Nicht-Marketers ein bekanntes Schlagwort ist (Dem Hype sei Dank!), trifft man garantiert auf offene Ohren und Interesse. Dann muss man ‘nur noch’ regelmäßig und gut argumentieren, um Verständnis zu schaffen.
3 mal Content Best Practice in On-demand-Vorträgen
Worauf andere Unternehmen beim erfolgreichen Wandel geachtet haben, wurde in drei Vorträgen, an denen ich bei der dmexco @home teilnehmen konnte, besonders deutlich.
Da dmexco Ticketinhaber noch bis Ende Dezember 2021 alle Beiträge on-demand konsumieren können, habe ich meine TOP 3 Vorträge mit Praxistipps hier konkret mit Referenten und Titel benannt. Vielleicht möchtet ihr noch reinhören (Suchfunktion im DMEXCO 2021 Cockpit).
Für alle, die sich mit „Caroline’s Digest“ zufriedengeben wollen, kommen hier meine Erkenntnisse in Kürze:
i) Eine Prozesskultur macht vieles möglich
Mit Mann + Hummel berichtete ein Unternehmen aus der Automobilbranche kennen, das erst kürzlich mehrere Untermarken zusammengeführt hat. (Nebenbei bemerkt: Auch ein interessantes Thema fürs Brand Marketing!)
„Mann + Hummel: Zentrales Content Management System – Kundenzentrierung im Fokus“;
Julia Remmele, Mann + Hummel und Julian A. Kramer, Adobe
In diesem Beitrag werden die Erfolge auf Standardisierung zurückgeführt und Standards in den höchsten Tönen gelobt. Um Missverständnisse zu vermeiden:
Standards bedeuten hier keine ganz starre Vorgaben, sondern sogenannte „White Label“ Templates, die einen gewissen Spielraum ermöglich, im Raster/Muster aber fix bleiben.
“Und wie kann man daraus ausbrechen?”, wird im Interview nett gefragt. Die Antwort bleibt ausweichend. Sprich: Gar nicht! (Ich komme später noch dazu, warum das vermutlich genau richtig ist.)
Ansonsten hören wir, dass in der richtigen Reihenfolge eine jede Kampagne ihren Anfang an einem runden Tisch nimmt und nicht etwa individuell pro Channel lanciert und dann in andere Sub-Teams gespielt wird.
Dies hat nicht nur den Vorteil, (1) dass Content-Recycling und Abstimmungsarbeit garantiert passieren. Sondern es ist (2) in guter Content-Manier auch konzeptionell nötig: Der Kunde geht von Touchpoint zu Touchpoint (und wir wissen im Vorfeld nicht, welche das sein werden), also muss eine konsistente Ansprache vorbereitet werden.
Und nicht zu vergessen (3), ist es auch für das involvierte Team viel bequemer und schneller für die Content Creation auf diese Werkzeuge zurückgreifen zu können.
Am Ende steht für mich aber wieder die Erkenntnis, dass es eine cross-channel Storytelling-Kompetenz bei den Menschen geben muss, damit diese Templates sinnvoll ausgefüllt, Themen erkannt und ausgerollt werden können.
ii) KI birgt heute schon echte Chancen
Während Produktentwicklung und Ad-Tech gar nicht genug von Künstlicher Intelligenz bekommen können, wird KI von Designern und Kreativen noch misstrauisch beäugt. (´à la “Wir alle wissen, welche kleinen Tricks mit der Adobe Creative Suite möglich sind. Reicht das nicht aus?!”)
Innovative Technologien wie KI sind die großen transformierenden Treiber unserer Zeit. Die Schranke im Denken wird in dem Moment überwunden, wenn man erkennt, wie sie die Arbeit im Kreativumfeld bereichern. Wenn humane Intelligenz und Emotionen Voraussetzung für Ästhetik sind, dann können sie doch auch beibehalten werden, nicht wahr!?
Tatsächlich kann man die philosophische Frage nach dem Ursprung der Ästhetik sogar im Moment noch unbeantwortet lassen, denn die Art, wie man heute bisher kreativ mit KI arbeiten kann, funktioniert nicht als „ein Stattdessen“ sondern als „ein Miteinander“.
Eine augenöffnende und temporeiche Live-Demo mit mehreren Designern präsentierte Professor Kabel von der HAW Hamburg in:
Augmented creativity: „Augmented Creativity: How AI is disrupting creative industries”, Peter Kabel, HAW Hamburg
Anhand der Gespräche und Modellierungen erkennt man die Zusammenarbeit von Künstler und Maschine sofort und wird von der Begeisterung der Speaker unweigerlich angesteckt. Ein Künstler, der Zeit und Handgriffe spart, nimmt ganz selbstverständlich eine neue Rolle ein, ohne im Geringsten zu befürchten, ersetzt zu werden. (NB: Nicht statt, sondern mit der KI ist eines meiner Lieblingsthemen, auf das ich an anderer Stelle noch zu sprechen kommen werde.)
iii) Daten sollten Kampagnen führen
Der “Daten-Imperativ” ist die unausgesprochene Regel der Branche. Daten suchen wir, Daten brauchen wir! Aber was genau ist damit gemeint? Wie funktioniert data-driven Content wirklich? Annette Siragusano von Engel & Völkers erklärt in einer schön betitelten Masterclass, wie ihr Team damit umgeht:
“Content is king and context is queen. Data Driven Content: a Key Driver for the Future of Marketing & Comms”, Annette Siragusano, Engel & Völkers, Paul Herman, Sprinklr
Die Inhalte des Vortrags waren - zumindest für mich - dann doch etwas anders und weniger konkret angelegt, aber dennoch gut und interessant zu hören.
Es ist von einer Balance zwischen Agenda-Surfing (Themen, die für eure Personas relevant sind - jenseits der eigenen Unternehmens-Blase!) und Agenda-Setting (strategisch wichtige Themen zu besetzen) die Rede. Und tatsächlich wird auch meiner Erfahrung nach in Unternehmen tatsächlich oft entweder das eine oder das andere vernachlässigt. Für eine ausgeglichene Kommunikation ist wirklich beides nötig.
Noch ein weiterer wichtiger Tipp lautet, dass die Content Kreation und die Vorbereitung einer Kampagne durchaus inhaltlich gesteuert funktionieren aber, dass man jederzeit in der Lage sein sollte, anhand von Datenfeedback Anpassung in Form und Ausspielung vorzunehmen. Diese Vorgehen würde ich zwar nicht data-driven (sondern eher data-enhanced) nennen, aber egal wie wir es nennen: es ist eine gute Praxis, die System hat!
Auch hier wieder treffen wir auf das Thema vorbereitende Tools und Templates: denn anders ist eine hohe Geschwindigkeit und Anpassbarkeit nicht zu leisten.
Wie genau nun die Daten genutzt werden, bleibt in diesem Vortrag zwar offen. Dafür unterstreichen die Referenten, dass es in Wahrheit eigentlich um die Interaktion mit den Menschen (und weniger um Daten) geht. Das war für mich die treffendste Aussage des gesamten Events.
Fazit zu Problem 2: Prozessreiter willkommen!
Wenden wir uns der Problemlösung zu, dann finden wir für die teaminternen Herausforderungen ein klares Programm:
Knallhartes Prozess- und Projektmanagement ist die Devise! Viele Content People (ich auch) kamen ursprünglich vom journalistischen Recherchieren und Schreiben ins Content Marketing und haben sich maximal mit Themen- oder SEO-Recherche beschäftigt. Das ist für guten Content von morgen nicht durchgeplant genug! Kreative Freiheit findet sich nach wie vor im Lösungsansatz, aber nicht in der Durchführung.
Ist das nicht ein absoluter Innovations- und Kreativkiller? Doch. Natürlich!
Bitte keine Innovation!?
Wenn sich jemand vor dieser Aussage erschreckt, dann liegt es daran, dass “innovativ” in der IT-Szene zur Worthülse verkommen ist. Alles was nicht copy/paste ist, wird heute ‘innovativ’ genannt. (Ähnlich wird jede Art von Gestaltung als ‘kreativ’ betitelt.)
Denn wenn man “innovativ” in seinem Wortsinn versteht, dann hat dies in der Content Produktion tatsächlich nichts zu suchen. Innovation bedeutet ein “Novum”, etwas bisher noch nicht Dagewesenes.
Folglich können Innovation (solange sie noch neu sind) kein Business-Treiber sein. Sie sind ein Investment, da niemand weiß, was sich daraus entwickelt: es ist ja noch neu und unbekannt. Hat sich “das Neue” bewährt und etabliert, ist die Neuerung eine Optimierung. Und sobald sie zum Mainstream geworden und breiter einsetzbar ist, lässt sie sich wirklich geschäftsfördernd einsetzen. (Die Verehrung des “innovativ”-Etiketts ist also eigentlich paradox.)
Beim Content Marketing geht es nicht ums Neuerfinden, sondern um das Finden und Ansprechen von Kunden, mit Dingen, die wir wirklich über sie wissen. Mit echtem Kundenverständnis und Einfühlungsvermögen und Konsistenz (das erfordert Disziplin) gehen wir maximal auf sie ein. Neu Erfundenes wird dieses Ziel sehr wahrscheinlich verfehlen.
Fazit zu Problem 1: Haltet ein Plädoyer aufs Experimentieren!
Abschließend kann man sagen: Wenn dein Content heute im Wortsinn innovativ ist, tust du deinem Unternehmen wahrscheinlich keinen Gefallen.
Vor diesem Hintergrund (und weil man bei falscher Wortverwendung grundsätzlich nicht mitmachen sollte) verzichtet man beim Vorstellen und Werben für die Vorzüge von Content Marketing besser auf das Schlagwort “innovativ”.
Der Respekt für die Content Arbeit steigt eher, wenn man auf erprobete Abläufe und Prozesse eingeht. Alle Menschen lieben Prozesse! Sie geben uns Sicherheit und sparen Zeit, weil nicht jeder Schritt neu gedacht werden muss.
Und doch gibt es regelmäßig etwas Neues im Content. Nämlich die Tatsache, dass man immer wieder anders (und data-enhanced!) ausprobieren muss, welche Inhalte und Ansprachen besser funktionieren.
Aber lasst uns statt von “Innovation” besser von “Experimenten” sprechen. Das ist ehrlicher, da näher an den Tatsachen, und weckt auch keine falschen Erwartungen.
Jeder Pragmatiker versteht, dass man im Geschäftsalltag auf Experimente nicht verzichten kann. Die Welt der Kunden verändert sich und um neue Antworten zu bekommen, muss man ihnen auf neue Weise Fragen stellen.
Aber Experimente sind keine Erfolgsgaranten, sie dürfen scheitern. Sie sind unsere Instrumente, um durch ihren - positiven oder negativen - Ausgang einen kleinen Richtungswink zu erhalten. Darum machen wir sie: um aus Fehlern zu lernen.
Vielleicht schaffen wir es, den Begriff „Experiment“ als Schlagwort genauso positiv zu besetzen, wie es „Content“ und „Innovation“ heute sind. Wie viele Türen zu kontinuierlichem Wandel würde uns das öffnen!
Hat euch der Text gefallen? Dann freue ich mich, wenn ihr ihn weiterleitet und mit Freunden oder Gleichgesinnten teilt.
Der nächste Beitrag befasst sich mit einem Meta-Thema: Werte und ihr Platz in der Content-Arbeit. Wieder mit einigen Video Empfehlungen. :-) Wenn ihr euch hier anmeldet, kommt der Text gleich nach Erscheinen auch in euer Postfach.